O.M. Bidjanbek Produzentengalerie : Philosophie / Philosophy

 

Philosohie / Philosophy

Die Leiden eines Bildhauers in der Auseinandersetzung mit der Dreidimensionalität sind für viele Menschen nur schwer nachvollziehbar. Es wäre schade, wenn meine Gedanken und Erkenntnisse, für die ich viele Stunden tags und nachts auf meinem Sofa geopfert habe, der Menschheit verloren gehen würden und irgendein armer Mensch das alles noch einmal neu durchdenken müsste. Kunst ist eine Ausdrucksform und Erkenntnisform, die unsere Sinne und unser Unterbewusstsein anspricht. Aus diesem Grunde ist sie schwer zu fassen und rational zu definieren. Die spekulativen Möglichkeiten des Kunstmarkts mit ihren Vorwürfen des Banausentums sind ebenso wie die kleinbürgerliche Angst vor diesen Vorwürfen auf die sinnlichen Eigenschaften der Kunst zurückzuführen. Für alle schaffenden und betrachtenden Künstler habe ich im Folgenden zusammengestellt, wie sich Erkenntniswert und Lustgewinn der dreidimensionalen Kunst – der Plastik – zusammensetzt.

Statik
Jedes Ding ist räumlich. Man kann es anfassen. Es folgt den Gesetzen der Schwerkraft und steht oder schwebt irgendwie im Raum. Die Statik ist allen räumlichen Gebilden immanent. Sie gehört zu den Naturgesetzen, die den Menschen und seine Wahrnehmung geprägt haben. Jeder Mensch hat den Drang, schiefe Dinge wieder gerade zu rücken. Jeder Mensch befasst sich in der Kindheit intensiv mit der Statik und baut Turm um Turm, nur um die Grenze zwischen Standfestigkeit und freiem Fall zu erkunden.

Raum
Raum – das sind die drei Dimensionen: Breite, Höhe, Tiefe. Was wir mit den Augen sehen ist ein Abbild, hierfür genügt die Fläche: Breite und Höhe. Die Tiefe nehmen wir dadurch wahr, dass die Dinge, die weiter weg sind, kleiner und die Dinge die näher sind, größer erscheinen. Das ist eine Art Wiedererkennungseffekt des Auges, denn die Tiefe erfahren wir durch unseren Tastsinn. Auch hier sind unsere frühkindlichen Erfahrungen der Lehrmeister. Wie oft hat nicht jeder von uns Dinge angefasst, sie um- und umgedreht, von allen Seiten begutachtet, Löcher gebohrt und dann geworfen. Die Dinge haben Raum. Den haben wir erobert, durch Kriechen, die ersten Schritte, die Mutter dort – ich hier. Das ist Tiefe, das ist Raum. Das Bild mit seinen zwei Dimensionen ist ein Abbild von Raum. Wenn ich einen Gegenstand ansehe, weiß ich, wie er sich anfühlt dank meiner frühkindlichen Unternehmungen. Das künstlerische Gestaltungsmittel im Raum sind die Formen. Sie fühlen sich an, tatsächlich mit der Hand, abstrakt mit dem Auge. Formen sind Raum, nur mit ihnen kann man Raum gestalten. Alle anderen gestalterischen Elemente wie Flächen, Farben und Linien gehören zur Malerei. Eine Linie, zum Beispiel, entsteht in der Plastik durch das Aufeinandertreffen von Formen. Dort, wo zwei Formen aufeinander treffen, sehen wir im Abbild eine Linie. Tatsächlich ist da nur Form.

Funktion
Die in einer Plastik dargestellten Teile müssen funktionieren. Ein Bein kann verzerrt sein, aber es muss sich bewegen können. Der Mensch erwartet diese Funktionsfähigkeit entsprechend den Bauprinzipien der Natur. Wir sind gewohnt, dass der Daumen innen an der Hand ist. Wir können mit geschlossenen Augen die Hand zum Mund führen. Wir vertrauen auf die Funktionsfähigkeit. Finden wir sie in den dargestellten Formen einer Plastik nicht wieder, sind wir irritiert: das ist nicht echt, das ist unglaubwürdig. Instinktiv lehnen wir die weitere Befassung damit ab.

Idee
Die Idee ist die entscheidende Triebfeder für die Entstehung eines Kunstwerks. Der Künstler will seinen Mitmenschen etwas mitteilen, einen Gedanken, eine Erkenntnis, ein Gefühl. Der Hunger nach Erkenntnis ist eine der Triebfedern für den vorwärts strebenden Willen des Menschen. Ein Bildhauer benutzt die Sprache des Raumes, um seine Gedanken mitzuteilen. In unserer zunehmend visuellen und rationalen Welt kommt das dem Bedürfnis des heutigen Menschen nach Ursprünglichkeit und haptischer Wahrnehmung entgegen. Wir sehnen uns danach, zu fühlen. Meine Kunst In meinen Plastiken folge ich diesen Urmustern. Sie können mit allen Sinnen erfasst werden: artifiziell gebaut, stehen sie doch fest im Raum – und unser innerer Turmbauer freut sich über den gelungenen Turm. Die Formen lassen sinnlich Berührung erahnen – wir spüren wie schön Berührung ist. Unser Intellekt ist zufrieden, da alles funktionieren kann. In der neuen künstlichen Zusammenschau der einzelnen Formen und Elemente kommt die Botschaft: mein Beitrag zur Erforschung unseres Seins.

Viel Freude und Erkenntnis beim Betrachten!
O.M. Bidjanbek



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